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Unter Inspiration (lateinisch inspiratio ‚Beseelung‘, ‚Einhauchen‘, aus in ‚hinein‘ und spirare ‚hauchen‘, ‚atmen‘; vgl. spiritus ‚Atem‘, ‚Seele‘, ‚Geist‘) versteht man allgemeinsprachlich eine Eingebung, etwa einen unerwarteten Einfall...


Es gibt sicherlich viele verschiedene Arten von Inspiration.
Es gibt die schnelle, unerwartete Eingebung, ebenso, wie die lang erhoffte, lang erarbeitete Lösung eines Problems.
Inspiration steht in enger Nachbarschaft zur Intuition. Eine geöffnete Intuition schafft das Tor dafür, dass etwas „einfallen“ kann. C.G. Jung hat die Intuition neben der Empfindung, dem Fühlen und dem Denken zu den vier Grundkräften gezählt, mit denen unsere Psyche in der Welt agiert. Ich weiß nicht, ob es heute ein zeitgenössischer Psychologe wagen würde, die Intuition auf eine Stufe mit dem Denken zu stellen.

Für viele Künstler ist das kein Problem. Sie müssen diesen „Kanal“ offen halten. Sonst fließen keine Inspirationen.
Die Inspiration selbst ist etwas magisches, denn sie „überkommt“ uns und nicht umgekehrt. Wir haben sie nicht in unserer Gewalt. Künstler haben gelernt, mit Einfällen umzugehen. Es gibt aber auch schlechte, banale Inspirationen, die einen hinter einer aktuellen, mühsamere Entwicklung zurückfallen lassen.
Das bleibt bei der Begeisterung für die Inspiriertheit oft ungenannt.

Eine Überschneidung zum Glauben gibt es sicherlich bei der Grundeinstellung. Das Leben als Künstler kann mönchische, sogar einsiedlerische Züge habe. Inklusiv allen Gefahren zur Pathologisierung. Da es sich bei religiöse Erkenntnissen und künstlerischem Ausdruck generell um Zuspitzungen handelt, geht man sowieso bisweilen hart an die Grenzen des Pathologischen.
In den Bildern (Kunst) von verklärten (Glaube) und exstatisch Ergriffenen (Heiligen?), von der es ja eine ganze Menge gibt, treffen sich diese Ebenen. Und wie das Leben so spielt, ist die Gefahr zum Kitsch an so einer intimen Nahtstelle besonders groß.
Es gibt aber auch sehr gelungene Verquickungen, z.B. die gregorianischen Gesänge.
In unserer Gesellschaft wurde ein Weg ohne Gewalt und ohne direktes Ziel, ohne dem aggressiven Willen zum Fortschreiten, sehr selten versucht. Das Singen der Mönche ist eine der wenigen Ausnahmen.

Ich glaube, dass sich viele Menschen nach Inspirationen sehnen, weil unser Lebensklima diesen nicht besonders förderlich ist. Man sehnt sich immer nach dem, was man nicht hat. Dazu kommt, dass unser wirtschaftliches System das Thema Inspiration hoch aufgehängt hat. Man hat sich quasi bei der Kunst eingekauft und bedient sich ihrer Begriffe (Galerie (Kaufhof), Showroom (nicht für Bilder sondern für Autos), usw.
Mit Inspirationen werden Produkte entwickelt und darum ist auch diese unschuldige Form des in sich Hineinsehens und Erfahrens in unsere gewinnoptimierte Welt eingegliedert.

Um seinen Einfällen nahe zu sein, ist es vor allem wichtig, die Stimmen, Gefühle und Aufgeregtheiten unsres Ichs beiseite zu lassen. Von Blaise Pascal, der Mathematiker, Philosoph und Theologe war, stammt der wunderschöne Satz:

Alles Unglück in der Welt kommt daher, dass man nicht versteht, ruhig in einem Zimmer zu sein.

Das versuchen Künstler den ganzen Tag, nur mit einem Bild oder einer Skulptur vor der Nase. Es ist einfacher, sich zu konzentrieren, wenn man etwas in der Hand hat. Überhaupt glaube ich, dass es leichter ist, inniglich etwas zu tun als nur inniglich zu sein.

Das Wort Inspiration begeistert wohl auch viele, weil es den Anschein des Leichten und Mühelosen erweckt. Endlich kommt mal etwas von selbst! Leider ist es nicht so einfach. Die Arbeit bleibt unabdingbar, die Inspiration ist eine Zugabe, ohne die nichts wirklich Sinn macht.

Eine Inspiration ist auch eine Art Kurzschluss. Irgendein „wissender“ Apparat in uns findet eine Abkürzung. In der Kunst sagt man gerne, das Kunstwerk muss größer sein, als die eigene Absicht. Es muss auch den Künstler überraschen, sonst fände er die Kraft nicht, ausdauernd an ihm zu arbeiten.
Die Bandbreite des „Erscheinens“ einer Inspiration liegt zwischen dem eher zarten Begriff Eingebung und dem viel härteren Wort Einfall, der etwas Unausweichliches beschreibt.
Am schönsten ist das Wort aber in seinem ursprünglichen Wortsinn: dass etwas eingehaucht wird. Ein Hauch ist nicht der Atem, welcher kommt und geht. Ein Hauch ist etwas einmaliges.

Inspiration ist ansteckend! Das ist das wunderbarste an ihr. Inspirierte Werke schaffen weitere Einfälle, und das ist auch ein guter Gradmesser für die Qualität von Kunst.
Aus einer gelungenen Ausstellungssituation kommt man positiv angesteckt heraus und hat Lust, selber etwas Schönes, Interessantes zu tun.

Christian Deckert, Juni 2016