Einführung


Die Stifter Rüdiger und Katja Müngersdorff haben mit dem Erwerb eines alten Bauernhauses in den 90er Jahren in dem kleinen belgischen Örtchen Fanzel, in den Ardennen gelegen, eine auf dem zugehörigen Grundstück befindliche Wegeskapelle (gebaut 1925) miterworben. Diese bietet über ein kleines schmiedeeisernes Tor Zugang zu einer Dorfstraße und ist somit der Öffentlichkeit zugänglich.


Nach der Renovierung 2005 wurde mir der schöne Auftrag erteilt, diese Kapelle neu zu gestalten. Weitere Vorgaben wurden nicht gemacht.

Die Kapelle ist der Hl.Thérèse von Lisieux, geborene Martin, gewidmet. Anlaß der Widmung war ein Heilwunder, das im Dorf geschah. Gestiftet wurde sie von einem Bauern, dessen Frau über Jahre an einem giftigen Abszess erkrankt war, der nicht geheilt werden konnte. Nach einer Walfahrt des Mannes wurde ihm in einer relativ aufwendigen Vision die Erbauung einer Kapelle an eben diesem Platze nahegelegt.
Eine Heilung trat tatsächlich ein.

Ich möchte kurz herausstellen, was ich für wichtig halte. Das erste ist, daß Thérèse bereits im zarten Alter von 24 Jahren an Tuberkolose stirbt, die viel zu spät als solche erkannt wird. Sie stirbt also so jung, daß man sich automatisch fragt, was sie in so kurzer Zeit Besonderes geleistet zu haben vermag.
Zweitens handelt es sich bei ihr um einen Menschen, der über viele Jahre als besonders empfindlich und empfänglich gilt. Es gibt Jahre da weint sie darüber, daß sie soviel weinen muß.
Bereits mit neun Jahren hat sie den Wunsch in ein Kloster zu gehen, in das ihr zwei Schwestern vorausgehen und eine nachfolgt.
Ihre Liebe zu Jesus steht so felsenfest, daß es ihr nach einer Papstaudienz, 15-jährig, bereits gelingt, in ein Kloster aufgenommen zu werden. Wichtig ist also zu sehen, daß dort ein ganz fragiler Mensch, der Lebenskrisen oft erst im letzten Moment meistert, auch einen Willen von äußerster Zähigkeit besitzt. Sie träumt früh vom Absoluten, auch von Perfektion vor Gott, fühlt sich aber den "großen" Heiligen nicht gewachsen. Sie verfügt über einen gewaltigen metaphysischen Ehrgeiz, der an den äußeren Rändern ins Süßliche oder ins Manische abdriftet.
Was macht so ein Mensch, wenn er ins Kloster geht?

Erstmal ist alles anders, als sie es sich vorgestellt hat. Sie leidet oft unter "Trockenheit", wie sie sich ausdrückt. Die harten Exerzitien im Kloster führen sie nicht weiter, dazu gehören oft täglch zweistündige, religiöse Betrachtungen mit anschließendem 4 1/2 stündigem liturgischem Gebet.

Vor allem aber erkennt sie, daß ihre Mitschwestern geprägt sind von der Furcht vor einem strafenden Gott. Die Liebe, die sie im Kreis der Familie erfahren hatte, greift hier selten. Es ist der Gott des Alten Testamentes, der Frieden bringt, wenn man ihm gehorcht und der einen in großer Unsicherheit läßt, ob man überhaupt in der Lage ist, ihm zu gehorchen. Erst ganz unbemerkt geht sie ihren eigenen Weg, den sie später "den kleinen Weg" nennen wird.

Dieser Weg ist ihre eigentliche Erfindung, die sie mit spannenden kleinen Geschichten ihren Mitschwestern versucht nahe zu bringen. Und diese Geschichten sind es, die mich als Künstler wegen ihrer Originalität begeistert haben. Sie waren für mich der Aufhänger für die Neugestaltung der Kapelle.

Der Kernsatz ihres Umgangs mit der Klostersituation war, daß sie nicht das Außergewöhnliche, sondern das Gewöhnliche außerordentlich gut vollbringen wollte.
Sie wollte nicht groß werden, sondern immer kleiner. Was meint, einen direkten Weg finden, hin zur Gottesliebe, eine Art Fahrstuhl, um von da aus, den täglichen Streitigkeiten nicht ausgeliefert zu sein, sondern ihnen mit Langmut begegnen zu können. Kleiner werden, unbedeutender, weil sie wußte, daß Gott sie mag.
Diesen Weg, und das ist das Besondere, hat sie auch während ihrer grausam langen Leidenszeit vor dem Sterben nicht verlassen. Sie litt ganz anders, als wir uns das jetzt nach diesen Worten vielleicht vorstellen oder wünschten. Sie litt so sehr, daß sie irgendwann an gar nichts mehr glaubte. Sie sagte, sie könne jetzt die Atheisten verstehen. Weil nichts mehr da sei.

Thérèse sprach oft in sehr bildhaften Geschichten, die mich künstlerisch zur Umsetzung bewegt haben. Da ist zum einen die Geschichte vom Ball:

"Seit einiger Zeit hatte ich mich dem Jesuskind als kleinen Spielzeug angeboten. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich nicht wie ein kostbares Spielzeug behandeln, daß die Kinder nur anschauen, weil sie es nicht wagen, es anzurühren, sondern als einen kleinen Ball von keinerlei Wert, den es auf den Boden werfen, mit dem Fuß stoßen, durchbohren, in einem Winkel liegen lassen oder an sein Herz drücken könne, wenn es ihm Freude mache."

oder die Sache mit dem Fahrstuhl:

"Wir leben im Zeitalter der Erfindungen: heutzutage lohnt es sich nicht mehr, eine Treppe Stufe um Stufe zu ersteigen; bei den reichen Leuten wird sie auf das Angenehmste von einem Aufzug ersetzt. Auch ich möchte einen Aufzug finden, um mich bis zu Jesus zu erheben: denn ich bin zu klein, um die steile Stiege der Vollkommenheit zu erklettern."

und die Geschichte vom Pferd:

"Thérèse will klein bleiben, um Gottes Größe zu erfahren. Klein bleiben aber auch, um  Hindernisse leichter zu überwinden. Mit hintergründiger Ironie erinnert sie sich an das Pferd, das irgendwann in ihren Kinderjahren die Gartenpforte der Buissonnets versperrte. Die Erwachsenen seien ratlos herumgestanden, während Thérèse, der listige Kobold, blitzschnell zwischen den Beinen des Tieres hindurchschlüpfte! Später wird sie die Geschichte einer problembeladenen Mitschwester erzählen und ihr den Rat geben, statt einen wüsten Kampf mit ihren Schwierigkeiten auszufechten, solle sie doch einfach "unten durchkriechen"."

Thérèses leibliche Schwester Céline, die mit ihr im Kloster lebte, besaß eine Kamera. Darum gibt es einige Photos von ihr. (auf dieser Seite: Térèse verkleidet als Jeanne d´Arc) In einer Wandnische habe ich ein kleines Ensemble von Tonarbeiten und Photos zusammengestellt. Eine andere Nische zeigt Thérèse in einem Fahrstuhl, eine weitere auf dem Krankenbett liegend. Im Altarbereich habe ich eine rote Rose ihrem Leben und eine schwarze ihrem Leid gewidmet. Die günen Punkte an der Decke spielen auf die mit ihr in Zusammenhang gebrachten Rosenwunder an.

Es bleibt die vierte Nische: ein Kerzenleuchter aus Ton, der eine Zunge herausstreckt und silberne Narrentroddeln hat. Ist es nicht so, dass eine "Heilige" auch allen die Zunge herausstreckt, weil ihr nichts banal-menschliches reicht? Bei Thérèse mußte ich immer wieder daran denken.


Februar 2008