Ankara 1




Vom Hotel, das eher im südlichen Teil der Stadt liegt, bin ich in den Norden gelaufen. Hin zur Altstadt, durch von Menschen und Verkehr geflutete Straßen, Fußgängerzonen, Parks. Alles ist erstaunlich ähnlich zu mir bekannten anderen großen Städten. Erinnerungen an Buenos Aires: Kaum alte Bauwerke, dafür postmoderne Glasfassaden, die hier noch mehr als woanders etwas Vorläufiges zu haben scheinen.

Im Detail aber ist alles anders. Die Gerüche sind anders. Die Business-Anzüge werden anders getragen, die Frauen schminken sich anders. Döner ist anders. Die Bewegungen der Menschen sind anders, auch ihre Blicke. Die vom Kopftuch eingerahmten Gesichter vieler Frauen finde ich als Maler fern jedem Ideologiestreit immer wieder aufregend. Die weichen Züge mit dem harten Faltenwurf erinnern an mittelalterliche Mariendarstellungen.


Ewig gleich sind die silbernen, weißen und schwarzen neuen Autos, die in alle Städte dieser Welt wie Kaugummiblasen vom Himmel gefallen zu sein scheinen.
Blähkarossen, die trotz Verdauungsprobleme windschlüpfrig durch die Gassen jagen. Nur die Farben verströmen eine pseudoseriöse Note. Dazwischen ein paar rote Karren, was wie bei uns, gemeinhin als mutig gilt.





In der Menge der Menschen fühle ich mich überraschend sicher. Trotz laufender Digicam nimmt man keine Notiz von mir. Großstadt eben. Montags ist das Museum dicht. Auch wie bei uns.

Erst als ich in die Alte Stadt komme, weht mich die Fremde an. Die Marktstände in den alten, bröckeligen Häusern strahlen eine mir unbekannte Ordnung aus. 200-fach die Unterwäsche übereinander, Körbe nach Blau, Gelb, Rot sortiert. Bestecke funkeln neben Edelstahltöpfen, konzertant, mosaikartiges Gefüge von Materialien und Farben. Straßengeschäfte, deren bunte Kissen und Zudecken eine flauschige Kulisse für die Verkäufer und Kaufenden abgeben. Bühnenartig, Talmi auch. Durch diese Ordnung heben sich die Menschen eigenartig ab von den Dingen. Das Geheimnis des Ornaments: es wird erst komplett, durch die vor ihm sich bewegenden Menschen und Tiere.

Dann die ganze Fremde. Unterhalb der Altstadt stoße ich auf einen Basar, auf dem sich ausschließlich Männer befinden. Das Klima wird rauer. Am Eingang lagern ca. 15 junge Männer, teils höckelnd, aufgeregt diskutierend oder schweigend mit entferntem Blick. Ich denke, es geht um Arbeit.
Scheint hier ein Prinzip zu sein: man ist äußerst involviert oder abwesend. Habe ich später auch bei den Studenten erfahren. Abwesender Blick oder einfach nicht mehr da zu sein. Oder eben ganz dabei.
Verkauft werden: Möbel, Kühltresen, Männerbekleidung und -schuhe. Arbeitsklamotten. Seltsam, wenn die Frauen fehlen. Die Stimmung ist ernster, auch abgründig. Die Jungen sind unruhig, die Alten kontrastieren mit fatalistischer Gelassenheit. Was ich mir so unter osmanischer Ruhe vorstelle... Hier werde ich zum Tee eingeladen, in einem Hinterraum, vollgestopft mit Militärhosen und -jacken. Zeichensprache. Wenn ich hier verloren gehe, findet mich keiner wieder, denke ich, was für ein Quatsch. Das Teetrinken vermittelt mir das paradoxe Gefühl von herzerweiternder Gastfreundschaft und konservativer Beklemmung.
Ansonsten behandelt man mich wie unbemerkt, was überaus höflich und sehr wohltuend ist. Ein einziges Mal wird versucht, mich in einen Laden zu zerren. Meinen Camcorder wage ich nicht auszupacken.





Beim Rückweg zum Hotel komme ich an einem Mann vorbei, dessen wie abgeklappt verdrehtes rechtes Bein auf dem Bürgersteig drapiert ist. Im Vorübergehen erblicke ich eine tiefe, verkrustete Narbe, die sich quer über sein Knie zieht. Eine viertel Sekunde lang. In mich fährt ein Schauer vom Steiß beide Beine hinunter bis zu den Achillesfersen. Ca. 4 Sekunden. Im Dresdner Grünen Gewölbe gibt es eine
Bettlerfigur aus Edelsteinen und Diamanten. Von August dem Starken.

Eine schöne Markthalle mit Kleidung und Küchenkrams. Drumherum zähle ich 17 Sanitätsgeschäfte, deren Schaufensterauslage nahezu identisch ist.

Eine riesige Kreuzung: ein alter Mann verkauft vier gelbe und ein weißes Aufziehküken.
Zwanzig Meter weiter bietet ein Mann um die 30 zwei Kinderschlafanzüge auf einem Pappkarton an. Daneben verkauft ein Alter Glassteine gegen den bösen Blick.
Entgegen der Zielgerichtetheit, die in deutschen Städten herrscht, scheinen die Bewegungen der Menschen hier kein so deutlich definierten Anfang und kein so abruptes Ende zu haben. Alles wirkt flüssiger als bei uns, wenn auch nicht unbedingt langsamer. Nach ca. 5 Stunden wünsche ich mir einen geheimen Vorhang zum Verschwinden.

Abends, Neueröffnung einer Bar. Wovon der Westen träumt: Jazz live, spaßiges Abfeiern. Lockerer die Party, besser als bei uns, nicht so blasiert. Westlicher als der Westen. Es wird bis in den Morgen gefeiert.




Ankara 2 / Bilkent

Der Campus der Bilkent University liegt etwas außerhalb der Stadt. Die Uni ist groß, ca. 13.000 Studenten. Die vielen Häuser und Lehrgebäude sind in einer Art "Internationalem Unistil" erbaut, also einem irgendwie modernen Bauhausmix mit "antiken Einsprengseln". Der Campus ist aufwendig bepflanzt: Eine kleine Stadt für Lernende und Lehrende aller Fakultäten.
Was weiß ich von Ankara und der Türkei? Bestimmt wußte ich nicht, daß in dieser Uni, wie auch in anderen der Türkei, ausschließlich in Englisch unterrichtet wird. Dadurch bedingt, gibt es eine große Zahl Lehrkräfte verschiedenster Nationalitäten.
Ich habe zum Beispiel einen russischen Maler getroffen, dessen Bilder mir aus Düsseldorf gut bekannt waren. Von einer solchen Internationalität können deutsche Universitäten nur träumen.







Die Wohnung, die mir zur Verfügung gestellt wird, ist derartig "internationalstyled",
daß ich nicht das Gefühl habe, überhaupt verreist zu sein. Gibt´s noch sowas wie Exotik? Auch das Wetter entspricht jetzt im April ungefähr dem in Düsseldorf, wo ich wohne, wenn ich nicht gerade als bisweilen auch filmender Maler eingeladen bin, einen Videoworkshop mitzurealisieren.


Bei der Unterhaltung mit Studenten, was hier lesefuttertechnisch angesagt ist, bin ich wieder verblüfft. Paul Virilio, Jean Baudrillard schon wieder out. Nietzsche. Oh!
Kommt mir auch aus Düsseldorf bekannt vor. Viele Studenten sprechen türkisch, englisch und deutsch. Ich komme mir mit meinem Englischaufwärmen richtig popelig vor.

Es geht auf zum Filmemachen. Sechs Gruppen werden gebildet mit jeweils ca. 10 Teilnehmern. Es werden in einer knappen Woche also 6 Kurzfilme produziert. Prima Ausrüstung ist da, moderne 3-Chip-Kameras, Schnittplätze von Apple. Zeitdruck. Positiver Stress.
In meiner Gruppe sind idealerweise 5 Türken (davon 3 Frauen) und fünf Deutsche (davon eine Frau aus Sibirien, eine aus der Ukraine, beide perfekt deutsch sprechend).
Meine Filmidee ist: Schlagzeugspielen auf und in einem Auto mit den Händen, das Auto als Schlagzeug benutzend. Die Gruppe ist rasch und mühelos zusammengekommen, an der Idee interessiert. Ein Deutscher kann super Schlagzeug spielen, die Studentin aus Sibirien kann trommeln. Damit wären die beiden Rollen des Films schon mal vergeben. Einfacher geht´s nicht. Trotzdem ist die organisatorische Arbeit in der kurzen Zeit immens. Zugleich werden auch noch Workshops zum Thema Filmen und Filmmusik angeboten. Daß das alles funktioniert ist ein kleines Wunder. Auch für Essen und Tee ist immer gesorgt.
Nach dem genaueren Definieren des Themas und dem Festlegen eines ungefähren Zeitplanes ergreifen zwei türkische Studentinnen sofort die Initiative: Sie kennen sich aus mit Kamera,Ton und Script. Auch beim Schnitt sind sie führend. Ihr Selbstbewußtsein verblüfft mich. Zumal es sich immer sofort in Aktivität niederschlägt. Ich erlebe einen mir unbekannten zwischenmenschlichen Spagat: freundlichste Dienstfertigkeit gepaart mit dem unbeugsamen Willen, alles im Griff zu behalten. Gekuscht wird nicht. Sind das typisch türkische junge Frauen? Die Jungs wirken dagegen fast harmlos-verspielt. Mir wird später erzählt, daß das nicht untypisch ist: die Frauen haben die Fäden in der Hand, ohne das so darzustellen.
Was ist das? Tradierte, also konservative Emanzipation in modernem Gewand? Ich habe keine Ahnung. Kopftuch ist hier kein Thema.
Die zuerst wackelige Zusammenarbeit gelingt. Die zwei Studentinnen bleiben am Ruder, die Aufnahmen werden gemacht. Den Film nennen wir "Cardrum".
Was leider nicht stattfindet, ist ein tieferer Zusammenschluß der Gruppe. Die Verständigung in Englisch ist zwar nicht wirklich ein Problem, aber die Filmidee hat völlig verschiedene Phantasien geweckt. Der deutsche Schlagzeuger wünscht sich einen etwas launigeren Film, mehr in der Form eines Musikclips. Mich interessiert eher das nüchterne Abfilmen der Aktion. Wir versuchen alles einigermaßen in einen Topf zu kriegen, was nicht ganz befriedigend ist. Es besteht zu Recht eine gewisse Scheu, zu versuchen, sein Ding ganz durchzukriegen.

Am Schluß herrscht großer Zeitdruck. Den Film finden alle O.K., aber jeder hat ihn sich anders vorgestellt. Ich denke, das ist auch nicht anders möglich. Die Gruppe war eher zu groß, die Produktionszeit sehr kurz und das Wissen um Film zu divergent.
Film wirkt ja sehr dynamisch, deswegen ist es auch schwer zu vermitteln, daß die Dreh- und Schneidearbeit viel mit tatenlosem Herumstehen, bzw. hektischem Gemache zu tun hat.






Trotzdem. Einen Kurzfilm in einer knappen Woche zu drehen, mit 10 Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Nationalitäten, die sich bei diesem Projekt erst kennenlernen - daß das gut geht, ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist, daß in dieser Zeit insgesamt parallel 6 Filme entstanden sind: mit über 60 Beteiligten.


Kappadokien

Was die Filmerei noch nicht ganz geschafft hatte, Türken, Deutsche, Deutschtürken und Rußlanddeutsche zusammenzubringen, glückte durch den Ausflug nach Kappadokien. Die dreitägige Fahrt stand unter einem guten Stern.
Wir erwarteten gespannt die Uraufführung der 6 Filme in Ürgüp. Incl. Bürgermeisterempfang, Presse, usw.
Unser Schiff, sprich Bus, schipperte uns zwei Tage von Höhlenstädten zu Felssiedlungen, von Frühchristlichen Kirchen zu einer Töpferei. Nachts war Party.

Auffallend am ersten Abend: eine eher tourimäßige Folkloregruppe, besetzt mit drei Männern, die traditionelle türkische Musik spielten. Nach ein paar Takten fielen sämtliche türkischen Studenten singend mit ein. Toll. Was wäre das Pendant in Deutschland? Studentensingen mit Heino? Die Musik begleitete uns auch auf der Busfahrt. Sowas gibt es also doch: Volksmusik, hörbar.




Mein besonderer Dank gilt Levent Arslan und Andreas Treske, ohne die dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre. Abgesehen von der organisatorischen Arbeit haben sie die gesamte Reise mit Tatkraft und Freundlichkeit quasi durchtränkt. Es war alles wie frisches Wasser.


Düsseldorf, 26.05.07